Masken tragen in der Öffentlichkeit - Die negative Seite der "Maskerade"

 

Für viele - vielleicht die meisten - Menschen stellt es keinerlei Problem dar, eine einfache (keine medizinische) Gesichtsmaske zu tragen. Im Gegenteil, manchen Menschen gibt eine Maske auch Sicherheit - in unsicheren Zeiten. Sie tragen die Maske, um sich selbst (vermeintlich) und andere vor Tröpfcheninfektion zu schützen. Sinnvoll ist dies vor allem dann, wenn der Maskenträger einen ansteckenden Infekt hat. Da viele Erkrankungen - und insbesondere auch COVID-19 - bereits kurz vor Ausbruch erster Symptome ansteckend ist, besteht inzwischen in Deutschland zwar keine Maskenpflicht, aber die dringende Empfehlung, im öffentlichen Nahverkehr, beim Einkaufen oder wenn der Mindestabstand von 1,5 Metern nicht eingehalten werden kann, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Auch wenn es laut Robert-Koch Institut (RKI) bisher keinen wissenschaftlichen Nachweis eines effektiven Schutzes anderer Personen gibt, die Schutzwirkung erscheint lediglich plausibel und wird daher empfohlen. Auf einen Eigenschutz gibt es bisher keine wissenschaftlichen Hinweise.

Wichtige Informationen zum richtigen Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung gibt das Robert-Koch-Institut, auf das ich hierzu gerne verweisen möchte. 

 

Ich möchte in meinem Blogartikel jedoch auf eine ganz andere Problematik hinweisen. Die psychischen Schwierigkeiten, die insbesondere für Menschen mit Traumatisierung durch das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen entstehen können. Dieser Artikel erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und zeigt vor allem meine Erfahrungen aus meiner therapeutischen Praxis auf. Allerdings freue ich mich über Kommentare und Anregungen, welche psychischen Auswirkungen sich entweder durch das Tragen einer Gesichtsmaske, aber auch das Nicht-Tragen ergeben.

 

Das maskierte ICH

Menschen, die zu medizinischen Risikogruppen gehören, wie z.B. Asthmatiker oder Menschen mit COPD (Chronische obstruktive Lungenerkrankung), bekommen unter Mund-Nasen-Masken häufig schlecht Luft, was zu Atembeschwerden bzw. Atemnot führen kann. Dies wiederum kann zu Panikattacken führen und sich dadurch auch als psychische Belastung zeigen. Aber nicht nur Menschen mit COPD und anderen chronischen Bronchialerkrankungen sind betroffen. Auch gesunde Menschen können durch zu langes Tragen von Masken zu viel CO-2 aufnehmen und dadurch die eigene Sauerstoffaufnahme gefährden. 

 

Traumatisierte Menschen jedoch, die einen Mund-Nasen-Schutz (MNS) tragen sollen, bekommen häufig alleine bei der Vorstellung daran Angst- und Panikzustände oder Flashbacks - einem Wiedererleben traumatischer Erfahrungen in der Gegenwart. Warum?

 

Menschen, die z.B. Krieg, Folter, Raubüberfälle, sexuelle oder körperliche Gewalt oder ähnliche Situationen einmalig oder über lange Jahre erleben mussten, und denen bei einer Gewalttat z.B. der Mund zugehalten oder sie geknebelt wurden, ihnen die Luft abgedrückt wurde, sie unter Wasser getaucht wurden oder ihnen ein Tuch oder Kleidungsstück während der Tat über den Kopf gelegt wurde, ertragen es schon im Alltag häufig nicht, wenn sie einen Schal oder ein Tuch tragen sollen oder bekommen Beklemmungsgefühle bei enger oder hochgeschlossener Kleidung. Diesen Menschen eine Maskenpflicht zu verordnen, würde einer erneuten Retraumatisierung gleich kommen.

Für diese traumatisierten Menschen, die sowieso schon häufig unter massiven Folgen, wie z.B. einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS/PTSD) leiden, kann eine Maskenpflicht gravierende Folgen haben:

 

Aufgrund der häufig massiven Ängste vor Vermummung, kann es passieren, dass manche Menschen in der Öffentlichkeit keine Mund-Nasen-Maske tragen werden. Diese Menschen müssen dann mit unangenehmen, aggressiven, beleidigenden oder zumindest kritisch-auffordernden oder belehrenden Reaktionen anderer, insbesondere auch fremder Menschen (was wiederum Ängste und Panik auslösen kann) rechnen oder gar mit strafrechtlichen Konsequenzen bei einer gesetzlichen Maskenpflicht. Ein Erleben, welches sie aus ihrer Vergangenheit häufig nur allzu gut kennen und welches ihnen enorme Angst bereiten kann und das häufig sowieso schon gedrückte Selbstwertgefühl weiter verringern. Aggression vom Umfeld und "nicht-verstanden-werden" ist für diese Menschen ein Zustand der kaum auszuhalten ist. Zudem ist häufig das Vertrauen in Institutionen und unser rechtsstaatliches System durch Negativerfahrungen (z.B. mangelnde oder keine Hilfen durch Ämter, wie beispielsweise das Jugendamt oder in unsere Rechtssprechung durch z.B. Freispruch oder milde Strafen für Täter) geprägt und oft bereits stark erschüttert.

 

Doch auch bei Traumatisierten, die sich vor Angst vor den Konsequenzen an die Regeln und Empfehlungen halten werden, kann eine der Folgen ein ständiges "getriggert-werden" und Flashbacks sein, auch in Situationen, die vielleicht durch langjährige Therapie inzwischen mühsam erfolgreich bewältigbar waren. Dies kann erneut zu deutlichen Rückschlägen und einem Verlust des mühsam erworbenen Selbst- und Fremdvertrauens, zu Ängsten, Depressionen und Schlafstörungen führen. Hierzu kommt im Moment auch noch die Schwierigkeit, dass die psychotherapeutische und/oder psychiatrische Begleitung durch Therapeuten häufig nur eingeschränkt, erschwert oder im schlimmsten Fall gar nicht möglich ist. Ebenso wie die Möglichkeit, Schutz in psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken zu erhalten, die teilweise Betten für künftige Corona-Patienten freihalten müssen.

 

Viele traumatisierte Menschen werden sich alleine aus diesen Gründen und auch aus "Angst vor der Angst" immer noch mehr zurückziehen und im schlimmsten Fall ihr Haus oder die Wohnung nicht mehr verlassen, was häufig jetzt schon durch die Maßnahmen des "social distancing" ein vermehrtes Problem darstellt. Oftmals wird der soziale Rückzug aus Angst auch noch begleitet von einem steigenden Risiko sich selbst zu verletzen oder zu Sucht-/Betäubungsmitteln greifen, um die vermeintliche Hilflosigkeit und Schwäche durch Selbstabwertung und sog. "Täterintrojekte" (Selbstschädigende Muster, die durch massive Gewalterfahrung entstanden sind) zu kompensieren. Bis hin zum Suizidversuch oder gar erfolgreichen Suizid. 

 

Manche Betroffene werden sich aus Angst vor den Folgen einer Verweigerung der Maskenpflicht/ bzw. dringenden Trageempfehlung anpassen und sämtliche Konsequenzen für sich selbst (Ängste, Panik, Flashbacks, Schlafstörungen, Retraumatisierung) in Kauf nehmen - für betroffene Menschen, die suizidal sind, könnte dies auch zur Lebensgefahr werden. Insbesondere, wenn die Dauer der Maßnahme nicht absehbar ist und im aktuellen Fall globale Ausmaße hat. Man könnte jetzt nicht einmal theoretisch "fliehen", da die Situation in anderen Ländern vergleichbar oder gar noch schlechter ist - eine Strategie, die in "normalen" Zeiten manchmal hilft... "Im Notfall könnte ich ja - zumindest prinzipiell - hier weg".

 

Die maskierten ANDEREN

Manche Menschen finden es wertschätzend, anderen gibt es eine vermeintliche Sicherheit und wieder andere finden es abschreckend und befremdlich bis beängstigend, in der Öffentlichkeit Menschen zu begegnen, die eine Mund-Nasen-Maske tragen.

Solange es nur einzelne Menschen sind, ist es auch für die oben genannte Gruppe an traumatisierten Menschen noch "aushaltbar". Diese wissen ja ebenso rational über die Gründe dafür Bescheid. 

Umso mehr Menschen jedoch maskiert sein werden, z.T. vielleicht auch mit lustig gedachten, aber für traumatisierte Menschen bedrohlich wirkenden Masken - die entweder sehr dunkel, mit gruseligen Aufdrucken, oder triggernden Zeichen/Symbolen versehen sind - umso mehr wird es zu einem bedrohlichen Szenario.

Für Menschen, die früh in ihrer Integrität verletzt und durch ihre Traumatisierung durch Masken verunsichert werden, gibt es unterschiedliche Trigger für Ängste:

 

- das Gesicht des Gegenübers ist nicht oder nur teilweise erkennbar, dadurch fehlt die deutbare Mimik und Emotionen werden noch schlechter einschätzbar "Was will der/diejenige von mir?", "Bin ich womöglich in Gefahr?" Diese führt zu Verunsicherung und kann Ängste sowie im schlimmsten Fall Panik auslösen.

 

- Täter bei früheren Traumatisierungen waren häufig maskiert - insbesondere bei Vergewaltigungen, Folter und rituellem Missbrauch - daher können Begegnungen mit Menschen, die Gesichtsmasken tragen, retraumatisierend auf die Betroffenen wirken.

 

Da Flashbacks nicht im Großhirn - unserem rationalen Denken/Verstand - sondern in tiefer liegenden Gehirnregionen, die für Kampf-/Flucht oder Erstarren zuständig sind um das Überleben zu sichern, ausgelöst werden, reicht es für Betroffene Menschen nicht aus, vom Verstand her "zu wissen", wofür das Masken tragen gerade sinnvoll ist. Diese Erkenntnis kommt immer erst dann, wenn der Flashback, der Angstzustand oder die Panikattacke bereits überstanden ist. Doch das kostet unglaublich viel Kraft und bringt manche Menschen an den Rand der Verzweiflung. Denn ihr Verstand sagt ihnen "ich weiß doch eigentlich, wofür es gut ist".

 

Weiterhin ist mir allerdings auch noch wichtig zu erwähnen. Es gibt auch die andere Seite: Menschen, denen es Angst macht, anderen Menschen, die keine Maske zu begegnen. Wie man sieht, ist es also ein unglaublich komplexes Thema und ein ziemliches Dilemma für alle Beteiligten - also uns als Gesellschaft. Wie also damit umgehen?

 

Umgang mit Masken-Widerstand

Vielen Menschen ohne psychische Belastung sind diese Themen nicht einmal bewusst. Dafür habe ich vollstes Verständnis und deshalb möchte ich darauf auch aufmerksam machen und zumindest sensibilisieren.

 

Was kann ich also tun, wenn mir jemand im öffentlichen Raum begegnet, der trotz Verordnung (wie in manchen Bundesländern - derzeit z.B. in Sachsen) oder dringender Empfehlung keinen Mund-Nasen-Schutz trägt?

  • Freundlich ansprechen und nachfragen:
    • Z.B: "Ich sehe, Sie tragen keinen Mundschutz - mir selbst ist das wichtig. Darf ich fragen, was Sie daran hindert?" Auf diese oder ähnliche Art und Weise werden Sie vermutlich eine offenere oder ehrlichere Antwort erhalten, als wenn Sie den/diejenige anschreien, beleidigen oder anderweitig aggressiv reagieren
    • Mögliche Antworten:
      • "das geht sie gar nichts an" (auch diese Antwort kann ein erster Schutzmechanismus sein)
      • "Ich kann nicht nähen" oder "Ich habe keinen" oder "Ich kann mir keinen leisten"
      • "Ich halte das nicht für sinnvoll - interessiert mich nicht"
      • "Ich bekomme Panikattacken, wenn ich ein solches Teil tragen muss"
      • usw.
  • Bei eigener Angst vor einer möglichen Ansteckung, etwas mehr Abstand halten zu Menschen, die keine Maske tragen
  • Selbst Vorbild sein und einen möglichst neutralen, oder zumindest hellen/freundlichen Mund-Nasen-Schutz tragen, aber Anderen gegenüber tolerant sein, denn es wird Gründe für deren Verhalten geben, die wir nicht kennen.
  • Gegenseitige Rücksichtnahme
    • wenn ein Großteil der Bevölkerung sich an die Regelungen hält, ist bereits viel erreicht
    • "die Kirche im Dorf lassen" - es handelt sich bei Menschen, die lediglich keine Maske tragen, nicht um gewalttätige oder fahrlässige Menschen. Sie machen das häufig nicht aus Provokation oder Schädigungsabsicht (diese gibt es natürlich auch, zeichnen sich dann aber eher durch aktiv provozierendes Verhalten, wie z.B. Ablecken von Gegenständen oder Bespucken aus - diese sind von mir hier nicht gemeint!) sondern z.B. aus den oben genannten Gründen
    • für die Einhaltung von Rechten sind nicht wir als Gesellschaft zuständig, sondern die Polizei und ggf. Gerichte
  • mit Personen aus dem Bekannten- oder Freundeskreis/Familie oder im näheren Arbeitsumfeld könnten Sie sachlich sprechen und sie (leichter als Fremde) nach ihren Gründen fragen, wieso ein Tragen der Maske nicht möglich ist

Ergänzung am 20.04.2020: Gerade eben wurde in der Pressekonferenz von Markus Söder für Bayern bekannt gegeben, dass ab kommender Woche, also ab 27.04.2020 eine generelle Maskenpflicht im ÖPNV, sowie beim Einkaufen besteht. Ich hoffe, es wird dennoch Menschen geben, die tolerant mit der o.g. Personengruppe umgehen werden. Denn traumatisierte Menschen haben bereits genug Leiden erlebt. Vielleicht wäre es auch denkbar, diesen Menschen ein ärztliches Attest für den Fall, dass ein längeres oder überhaupt ein Tragen einer Maske einfach nicht möglich zu sein scheint, auszustellen. Ich werde dies immer wieder anregen... und mit meinen eigenen Klienten werde ich an Ihren Stärken, ihrer Resilienz und Ihrer Selbstwirksamkeit und einem möglichst guten Umgang mit ihren Ängsten und Traumafolgesymptomen arbeiten, damit diese Situation möglichst auch ohne gravierendes Rückzugsverhalten bewältigbar wird. Denn wir werden uns wohl noch lange Zeit damit befassen müssen.

Foto: Mund-Nasen-Maske von "Heimatstolz" in Kösching - ein Beispiel für einen hell-freundlichen MNS

Ich wünsche uns allen viel Toleranz und Mitgefühl und vor allem Gesundheit - körperlich und auch psychisch!

Karoline Nikolaus


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